Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht – das Gleichnis vom Barmherzigen Samariter ist vermutlich ein sehr bekanntes und vielleicht hängt es auch schon aus den Ohren raus, denn die Botschaft der Nächstenliebe ist deutlich und muss nicht wieder und wieder besprochen werden… Ich habe mir beim erneuten Lesen vorgenommen, mal einen Perspektivwechsel vorzunehmen bzw. weitere Protagonisten oder augenscheinliche Nebenrollen in der Erzählung mehr in den Blick zu nehmen. Das vermeidende Verhalten des Priesters und auch des Tempeldieners löst im ersten Moment Empörung aus. Wir werden nicht erfahren, warum sie nicht gehandelt haben und einfach weitergegangen sind, doch mir ist wichtig zu benennen, dass auch sie ganz menschlich zu betrachten sind und nicht als heilig oder Ähnliches, weil sie für Gott tätig sind. Es gibt auch heute viele statistisch belegte Gründe, warum Menschen im Notfall keine Erste Hilfe leisten und lieber wegschauen und verdrängen. Das kann einfach Zeitdruck oder Überbelastung sein, aber genauso gut stecken Unsicherheit, Angst vor Fehlverhalten oder zum Beispiel eine Blutphobie dahinter. Diese Dynamiken gibt es früher wie heute und sie verhindern ein freies, natürliches und hilfsbereites Handeln im Sinne der Nächstenliebe. Die Übersetzung des Bibeltextes im Neuen Testament in der Sprache unserer Zeit bevorzugt und nutzt statt des Nächsten das Wort Mitmensch. Die Liebe zum Mitmenschen oder ganz äquivalent die Mitmenschliebe eröffnet vielleicht auch neue Zugänge zu diesem Thema. In meinem Empfinden löst sich durch diese Formulierung auch eine etwas hierarchische Vorstellung von der betroffenen/verwundeten Person und dem rettenden Samariter. Denn sie sind sich beide und gegenseitig Mitmenschen – auf Augenhöhe. Mitmenschlich zu leben und zu handeln ist auch im Allgemeinen verständlicher und besser greifbar in meiner Wahrnehmung. Auch die Frage, wer denn mein Nächster sei, ist beinahe rhetorisch, denn jeder Mensch ist mir mein Mitmensch und genauso bin ich jeder anderen Person Mitmensch.
Ich habe das Foto dieser Brücke ausgewählt, da die Bändchen mich an Freundschaftsbänder erinnern. In meiner Jugend war es ein aufwendiges Unterfangen für Freundinnen jeweils individuelle Bändchen zu knüpfen und es kostete je nach Muster auch wirklich viel Zeit. Diese Bänder und Verbindungen haben wir mit allen (Mit-)Menschen und sind in gegenseitiger Verantwortung füreinander unterwegs. Das Geländer, an das wir gemeinsam geknüpft sind, mag Jesus sein, der uns in der Welt (zusammen-)hält.
Thale Schmitz
Evangelium:
Lk 10, 25-37: Das Doppelgebot der Liebe: Der barmherzige Samariter
25 Da stand ein Gesetzeslehrer auf, um Jesus eine Falle zu stellen. „Lehrer“, fragte er, „was muss ich tun, um das ewige Leben zu bekommen?“
26 Jesus erwiderte: „Was steht denn darüber im Gesetz Gottes? Was liest du dort?“
27 Der Schriftgelehrte antwortete: „Lieben sollst du den Herrn, deinen Gott, von ganzem Herzen, mit ganzer Hingabe, mit all deiner Kraft und mit deinem ganzen Verstand und deine Mitmenschen wie dich selbst.“
28 „Richtig!“, erwiderte Jesus. „Tu das und du wirst leben.“
29 Aber der Schriftgelehrte gab sich damit nicht zufrieden und fragte weiter: „Und wer ist mein Mitmensch?“
30 Jesus antwortete ihm mit einem Gleichnis: „Ein Mann wanderte von Jerusalem nach Jericho hinunter. Unterwegs wurde er von Räubern überfallen. Sie schlugen ihn zusammen, nahmen ihm alles und ließen ihn halb tot liegen. Dann machten sie sich davon.
31 Zufällig kam bald darauf ein Priester denselben Weg hinab. Er sah den Mann liegen und ging abgewandt schnell vorbei.
32 Genauso verhielt sich ein Tempeldiener. Er sah den verletzten Mann, blieb aber nicht stehen, sondern ging abgewandt vorbei.
33 Aber ein Samariter kam des Weges und als er den Verletzten sah, hatte er Mitleid mit ihm.
34 Er beugte sich zu ihm hinunter, behandelte seine Wunden und verband sie. Dann hob er ihn auf sein Lasttier, brachte ihn in die nächste Herberge und versorgte ihn dort.
35 Als er am nächsten Tag weiterreisen musste, gab er dem Wirt zwei Denare – zwei Tageslöhne – und bat ihn: „Pflege den Mann gesund! Sollte das Geld nicht reichen, werde ich dir den Rest auf meiner Rückreise bezahlen!“
36 Was meinst du?“, fragte Jesus den Schriftgelehrten. „Welcher von den dreien ist dem Überfallenen zum Mitmenschen geworden?“
37 Der Schriftgelehrte erwiderte: „Der Mann, der ihm geholfen hat.“ „Dann geh und folge seinem Beispiel!“, forderte Jesus ihn auf.