Impuls „Durch uns zieh sie zu dir hin“
(4. Fastensonntag B Eph 2,4-10 und Joh 3,14-21)
Aus Gnade sind wir gerettet (Eph 2,5). So sagt es die heutige Lesung und weiter steht dort: Er [Gott] hat uns mit Christus auferweckt […] (Eph 2,6). Der Glaube an diesen Jesus den Christus, der uns in seiner Liebe lebendig machen will (Eph 2,4), hat anscheinend Auswirkungen auf die Lebendigkeit unseres jetzigen und zukünftigen Lebens. Der Glaube, so die Schrift, weckt auf.
Diesen Gedanken greift auch das Evangelium auf. Das Evangelium weist zudem mit dem Bild der „Schlange in der Wüste“ darauf hin, dass dieser Lebenswunsch Gottes für seine Kinder schon immer größte Bedeutung im gesamten Wirken Gottes an seinem Volk hatte und nun in Jesus Christus seinen Höhepunkt erhält.
Denn wenn Jesus zu Nikodemus sagt, dass der Menschensohn wie einst die Schlange in der Wüste erhöht werden muss, damit der Mensch gerettet wird und er die Liebe des Vaters erkennt, dann sieht er das Wirken Gottes in ihm in der Kontinuität der gesamten Verkündigung.
Zur Erinnerung: Als Giftschlangen das Leben des murrenden Volkes Israel in der Wüste bedrohten, baten die Israeliten Mose um sein Gebet. Gott gab Moses die Anweisung, eine Kupferschlange an einem Stab zu befestigen. Wer von einer Schlange gebissen wird und die Kupferschlange ansieht, der wird überleben.
Das Buch der Weisheit greift diese Erzählung aus dem Buch Exodus auf und deutet diese. Dort wird die Kupferschlange als Rettungszeichen verstanden. Die Kupferschlange steht für das rettende Wirken Gottes, welches durch das Zeichen der Schlange oder durch sein Gesetz in der Tora repräsentiert wird. Jeder, der sich an das Gesetz Gottes hält, wird durch Gott selbst, den Retter aller, der durch diese Zeichen wirkt, gerettet. (Vgl.: Weish 16,5-14)
Und in der Tat, dieser Gott und sein Gesetz kann den Glaubenden retten und Leben verheißen, nicht erst durch Jesus Christus.
Ein gutes Beispiel ist das Talionsgesetz (Ex 21,23-25), das durch den Ausspruch „Auge um Auge, Zahn um Zahn“ allgemein bekannt ist. Ein uraltes Gesetz der Tora. Jetzt werden viele fragen, was hat das denn mit liebevoller Rettung und der Lebendigkeit Gottes zu tun?
Die Antwort: Dieses Gesetz war nicht weniger als eine kulturelle Revolution und hat Menschen das Leben gerettet. Es war nämlich das erste Gesetz, das die Gewaltspiralen durchbrach und Gleiches maximal mit Gleichem vergalt. Statt: „Ich klaue dir ein Schaf, du klaust mir meine Schafsherde, ich verschleppe im Gegenzug sodann deine Tochter, du tötest darauf einen meiner Söhne, sodass ich mich gezwungen sehe, deine Sippe auszulöschen“, würde diese Gewaltspirale einfach mit „Schaf gegen Schaf“ enden.
Die Menschen erkannten, dass dies doch wesentlich besser sei als Mord und Totschlag und verbanden diese Erfahrung eines Leben schützenden Gesetzes mit ihrem Gott, der das Leben will, nicht den Mord.
Und so wie schon im Alten Testament die Entwicklung zu Vergebung, Milde und Barmherzigkeit ging, zeigt uns Gott in unüberbietbarer Weise in Jesus Christus, wie das Gesetz gänzlich richtig gelebt wird. In Jesus konnten die Menschen erfahren, was es heißt „Du sollst deinen Gott und deinen Nächsten lieben, wie dich selbst.“ (Dtn 6,4f. und Lev 19,18) Beides Gesetze aus der Tora, die im menschlichem Leben Jesu neu vorgelebt wurden.
Und mit diesem Jesus von Nazareth können wir eine Erfahrung machen, die uns retten und erlösen kann, hier und jetzt. Denn so wie die Menschen vor 3000 Jahren gemerkt haben, dass es Erlösung von Gewalt und Leben rettend ist, nur Gleiches mit Gleichem zu vergelten, so wie die Israeliten in der Wüste merkten, dass das Gesetz Gottes ihnen Heil schenken will, nicht Unheil, so merkten die Menschen im Umfeld Jesu, wie sehr Gott weiterhin plant, den Menschen aufzuzeigen, wie Leben miteinander und füreinander aussehen kann, das Frieden und Leben für alle garantiert.
Denn Gott hat die Welt so sehr geliebt, dass er seinen einzigen Sohn hingab, damit jeder, der an ihn glaubt, nicht verloren geht, sondern ewiges Leben hat. (Joh 3,16). Das ist die Erlösungsbotschaft Gottes. Er will in Jesus den Menschen noch mehr zeigen, wie und was er ist, damit alle, die noch unentschieden sind, ihn erfahren und neu das Leben wählen können. Denn eine Wahl für oder wider Gott kann ich ja nur letztgültig treffen, wenn ich die Optionen kenne. Gott hat sich immer weiter offenbart, damit alle, die ihn noch nicht recht erkannt haben, wieder neu über ihre Optionen aufgeklärt werden und neu wählen können. Das Erlösungshandeln Gottes in Jesus ist vielleicht diese unüberbietbare Selbstoffenbarung Gottes. Durch Jesus Christus konnten die damaligen Menschen und wir heute wieder neu entscheiden, die Botschaft dieses Gottes anzunehmen oder nicht.
Sie konnten sich nach Leben, Tod und Auferstehung Jesu neu entscheiden: Möchte ich ein Leben mit der Angst vor dem Tod oder ein Leben aus der Gewissheit eines Ewigen Lebens wagen, was zwar nicht die gesamte Angst beseitigt, aber die Perspektive auf Tod und Leben ändert. Ich konnte nach der Erfahrung Jesu neu wählen, ob ich meine größte Erfüllung im Leben in mir und meinem Reichtum sehen, inklusive der steten Angst, mein Reichtum verlieren zu können, oder ob ich vielleicht die größere Freude im sich verschenken und im Teilen erwarten kann. Ich konnte neu wählen zwischen einem Leben, dass nur auf sich selbst schaut, oder einem Leben, in dem ich an meine Berufung durch Gott für diese Welt und für die Menschen glaube. Das eine, so glaube ich, kann lähmen, dass andere kann lebendig machen.
Der Glaube an diesen Jesus rettet. Gott hat seinen Sohn nicht in die Welt gesandt, um die Welt zu richten, sondern damit wir gerettet werden (Joh 3,17). Glauben wir, so sind wir gerettet, und ich bin fest überzeugt, dass der Glaube schon hier eine neue Lebendigkeit schenkt.
Zumindest glaube ich diesen lebendigmachenden Glauben und sein rettendes Wirken in dem unzähligen Engagement so vieler Menschen erkennen zu können, die sich für andere einsetzen. Wenn ich allein hier an das Forum denke, fallen mir so viele Beispiele ein: Der Freundeskreis mit seiner Unterstützung für die Straßenkinder in Südafrika. Die Aktion Katharinen-Treppen, die ehrenamtlichen im Jordan-Treff oder im Nothilfezelt am U, die freundschaftlichen Banden der gegenseitigen Unterstützung, die seelsorgliche Arbeit und geistliche Begleitung.
Madeleine Delbrêl, die französische Mystikerin, würde in diesen Diensten beten: „Durch uns [,Gott,] zieh sie [,die Menschen,] zu dir hin, damit sie dir in uns begegnen.“ (Madeleine Delbrêl, Liturgie der Außenseiter).
Das rettende und erlösende Wirken Jesu Christi kann also auch durch Gott in uns und durch uns an den Menschen passieren. Durch unsere liebevolle Hinwendung an die Menschen aus dem Glauben an Jesus Christus heraus, können die Menschen eventuell Gott selbst durch uns erspüren und damit neu entscheiden, sich diesem Gott des Lebens zuzuwenden. Erlösungshandeln Gott durch uns, Begegnung des Gekreuzigten und seiner Botschaft in uns.
Die Möglichkeit, dass Gott durch uns erlösend wirkt, die Menschen in uns, den Erhöhten begegnen, ist ein bedenkenswerter Gedanke von Madeleine Delbrêl.
Als Katholiken glauben wir, dass Gott in dieser Welt durch die Sakramente wirkt. Wenn Gott durch uns wirkt, werden wir quasi zum Sakrament Gottes und jener Mensch, der mit und/oder durch uns eine Erfahrung mit dem Gott des Lebens macht, wird neu in die Lage versetzt, diesem Gott zu folgen und sich für ihn zu entscheiden.
Stefan Kaiser